Der Sitz-Zombie – eine Gruselgeschichte:

Es war der 31.Oktober, ein kalter Herbstabend. Der Wind heulte durch die Gassen und der Nebel tauchte die Strassenlaternen in ein schummeriges Licht. Rote und gelbe Blätter peitschten gegen das Fenster von Tom. Er war froh drinnen an seinem warmen Bürotisch zu sein. Eigentlich hätte er vor 15 Minuten Feierabend gehabt, aber da war noch dieses Projekt, das sich nicht von selber erledigen würde… Tom war alleine, alle seine Kollegen hatten sich heute punktgenau aus dem Staub gemacht. Sie haben ihren Kindern versprochen, sie zum "trick and treat" zu begleiten, und wehe es wären dann schon alle Süssigkeiten weg!

Tom arbeitete seit vielen Jahren in derselben Firma. Er mochte seinen Job und war gut darin. Er mochte seinen Arbeitstisch, seinen Computer, seinen Bürostuhl. Tom sass seit Jahren drauf, fünf Tage die Woche, jeden Tag achteinhalb Stunden. Alle Lichter waren aus im Büro, bis auf Tom's Stehleuchte. Das gedämpfte, sich im Nebel verlierende Licht, welches durch sein Fenster hereinfiel, machte ihn langsam schläfrig und er döste noch am Schreibtisch ein.

Ein Kribbeln in den Beinen weckte ihn. Tom öffnete seine Augen. Das grelle Licht des Bildschirms blendete ihn. Sowieso fühlten sich seine Augen an, als wäre Sand darin. Das Gefühl war nicht neu. Er kannte dieses Kribbeln und seine Augen waren oft gereizt. Seit er im Büro arbeitete, kam beides je länger je mehr vor. Doch diesmal war das Gefühl anders. Stärker, fordernder. Tom rieb seine tränenden Augen. Sein Blick fiel auf seine Beine – "Mein Gott!", dachte er sich, "so geschwollen waren die ja noch nie!" Richtig grosse dicke Beine hatte er. Grosse Ödeme hatten sich durch den Blutstau gebildet. Tom stand auf, um sich etwas Bewegung zu verschaffen.

Jetzt meldete sich auch noch sein Kopf. Er hatte wiedermal Kopfschmerzen. Also humpelte er zum Medizinschrank um sich eine Schmerztablette zu holen und – zuckte zusammen! Aus dem Spiegel starrte ihn ein Zombie an! Rote, tränende Augen und ein müdes, ja geradezu gespenstisch blasses Gesicht. "Muss an der vielen Bildschirmarbeit und der niedrigen Luftfeuchtigkeit liegen, sowas habe ich doch gerade erst in einem Blogartikel gelesen.", dachte er und duckte sich, um Augentropfen aus dem darunter liegenden Schrank zu holen. Zack! Ein plötzlicher Schmerz fuhr Tom ins Kreuz als sich seine Bandscheibe schmerzhaft meldete. "Auuu!" jaulte er.  Das fehlte ihm gerade noch, war er doch letztens beim Arzt, der ihm sowieso schon eine Hyperkyphose, eine zu starke Krümmung der oberen Rückenmuskulatur, diagnostiziert hatte. Auch vom verflixten Sitzen. Doch was will man machen. Schon lang hatte Tom also einen leichten Buckel, aber jetzt zwangen ihn die Schmerzen im Rücken zu einer Haltung à la Glöckner von Notre Dame!

Zum Glück war das Spital nicht weit. "Nichts wie hin!", dachte sich Tom und humpelte mit seinen geschwollenen Beinen, den roten Augen, dem blassen Gesicht und dem krummen Rücken auf die Strasse. Die Kinder, die ihm begegneten schrien vor Schreck auf, Erwachsene schmissen Süssigkeiten nach ihm. "Tolle Verkleidung, mann!" rief ihm ein Jugendlicher hinterher.  "Ich muss ja schrecklich aussehen!", dachte er sich, und versuchte schneller zu gehen. Dabei stolperte Tom über seine geschwollenen Beine und stiess sich den Zeh an der Bordsteinkante an. "AAAAUUUUUUHHHHH!" schrie er, sodass jetzt alle vor Schreck davon rannten. Sein Anblick war anscheinend furchterregend! Sein humpelnder Gang, die dicken Monsterbeine, das unnatürlich gekrümmte Rückgrat, sein Gesicht zu einer Grimasse schmerzverzerrt! Dass er heute Morgen keine Zeit hatte, sich zu rasieren machte es nicht besser.

Tom keuchte – so viele Schritte hatte er jahrelang nicht mehr gemacht, die Büroarbeit hatte seine Muskeln verkümmern lassen. Er hatte es bereits bis nach Aadorf geschafft –  in einem Gebüsch mit rotgelben Herbstblättern brach er schliesslich vor Schmerz und Anstrengung zusammen.

Tom öffnete die Augen. Mit verschwommenem Blick las er die Worte "Ergonomie" und "JOMA". Was war das für ein Gebäude? Hell erleuchtet, zufrieden dreinblickende Büromitarbeiter, die im Stehen arbeiteten, mit aufrechtem Gang und Headsets spazierend am Telefonieren, auf ihrem beweglichen Bürostuhl hin- und her wippend, die Augen klar und gesund…  Und alle sahen so  glücklich und schmerzfrei aus.

Da packte ihn eine Hand an der Schulter – er schreckte auf…!

Tom erwachte an seinem Schreibtisch. "Meine Güte Tom, warst du die ganze Nacht hier?" fragte ihn sein Kollege besorgt. "Du siehst mitgenommen aus!" Tom atmete auf, es war alles nur ein Traum! Erleichtert fasste er sich an den Kopf und… was war denn das? Ein Herbstblatt in seinen Haaren? Rotgelb wie die Blätter in dem Busch in seinem Traum..?! Tom spürte plötzlich ein Kribbeln in seinen Beinen…

Kommentare

Genial gruselig! Danke für die tolle Büro-Halloween Geschichte!

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