Experten-Interview: Jenny Schäpper über Coworking

Die Amis tun es schon lange, bei uns fängt das Ganze erst richtig an: Die Coworking Community erobert unser Land! Doch was steckt hinter dem Begriff Coworking? Welchen Mehrwert bieten die Spaces im Vergleich zu unseren „normalen“ Büros? Für wen ist Coworking überhaupt die richtige Arbeitsform? Jenny Schäpper, Initiantin vom Büro Lokal Wil und Präsidentin von Coworking Switzerland, steht uns im Experten Interview Rede und Antwort.

Frau Schäpper, Sie betreiben seit 2014 den ersten Coworking Space in Wil, das Büro Lokal. Für die von uns, die noch nie in einem Coworking Space gearbeitet haben, was können wir uns darunter vorstellen?

Ein Coworking Space ist ein bisschen wie eine moderne Bürogemeinschaft, nur viel flexibler und mit starkem Fokus auf „Gemeinschaft“ oder eben die Community. Coworkers suchen den Austausch untereinander und die Space Betreiber fördern diesen mit offiziellen und informellen Anlässen.

Woher kommt diese Arbeitsform?

Alles begann, wen überrascht es, 2005 in San Francisco, unweit vom Silicon Valley. Programmierer und Hacker mieteten günstige Büroräumlichkeiten wo sie täglich mit ihren Kollegen arbeiteten und sich austauschen konnten; in einer Umgebung und Atmosphäre die sehr ähnlich zu Barcamps war. (Barcamps sind offene, informelle Tagungen wo der Inhalt und Ablauf von den Teilnehmern bestimmt wird.)

Was bietet mir denn ein Coworking Space wie das Büro Lokal Wil?

Jeder Space bietet einen Arbeitsplatz inkl. Stuhl, WLAN, Drucker, Kaffee/Tee und Sitzungszimmer. Wir bieten zusätzlich noch Stehpulte mit kyBounder Federböden, mietbare Schliessfächer, Rollkorpus, Lagermöglichkeiten, Lounge-Ecke, Gartensitzplatz, Duschmöglichkeiten, Parkplätze und eine vollwertige Küche. Andere Spaces haben vielleicht noch Einzelbüros, Billardtische oder ein eigenes Bistro.

Wer ist der typische Coworker? Wen treffen wir bei Ihnen an?

Bei uns in Wil gibt es noch nicht den typischen Coworker, d.h. es gibt noch keine Konzentration von dem einen oder anderen Beruf. „Wissenarbeiter“ wäre die beste Zusammenfassung– alle arbeiten hauptsächlich mit dem Laptop.

Bis jetzt zählen wir einen IT Start-up, einen Banker, einen Projektleiter, Uni-Wissenschaftler, Doktoranden, Studenten und Aussendienstmitarbeiter zu unserer Community.

Und wo sind die Frauen?

Das frage ich mich auch! Meine persönliche Motivation, einen Coworking Space zu eröffnen, war mein eigener Bedarf. Ich wollte ein sympathisches Büro unweit von meinem Zuhause, aber eben nicht Zuhause einrichten, damit ich Abends und manchmal über den Mittag schnell und früh zu Hause sein konnte anstatt im Stau zu stehen. Der Abstand von meinem Privatleben ist mir wichtig, auch damit ich mich voll auf meine Arbeit konzentrieren kann, ohne zwischendurch noch etwas im Haushalt machen zu „wollen“. Ich stellte mir vor dass es anderen Frauen ähnlich gehen würde, aber bis jetzt ist dies entweder nicht der Fall oder sie kennen diese Arbeitsform noch nicht. Dazu starte ich gleich eine Umfrage auf Mumpreneurs / Facebook. Vielleicht können die mir Einsicht geben!

Ursprünglich hätte ich auch erwartet, dass das Durchschnittsalter +/- 35 Jahre wäre. Diesen Durchschnitt findet man in den Metropolen aber auf dem „Land“ liegt den Durchschnitt um die 10 Jahre höher. Das wurde sogar in einer Europäische Coworking Studie bestätigt. Das Coworking Angebot ausserhalb der Metropolen spricht andere Zielgruppen an.

Wo liegen die Vorteile von Coworking im Vergleich zu einem konventionellen Business Center, bei dem ich mich auch für einen Tag einmieten kann?

Coworking Spaces stellen den Menschen in den Mittelpunkt; Business Centers ihren Service. Ich nehme gerne ein Beispiel aus der Reisebranche. Wenn man ein Bed-n-Breakfast bevorzugt, sucht man oft den Kontakt und Austausch mit den Gastgebern, plus der Aufenthalt ist preiswert. In einem 4- oder 5-Stern Hotel ist das Angebot standardisierter und ist alles wohl fast perfekt, aber der Aufenthalt ist irgendwie auch anonymer und wesentlich teurer.

Coworking Spaces sind viel günstiger als Business Centers. Weltweit kostet ein Coworking Tagesticket +/- CHF 35.00 (inkl. WLAN, Drucker, Kaffee, neue Kontakte) im Vergleich zu rund CHF 150.00 in einem Business Center.

Von Zuhause aus arbeiten war ja lange Zeit im Trend. Nun wurde der in der Schweiz bekannte „Home Office Day“ zur „Work Smart Initiative“. „Home Office war gestern“ – kann man das so sagen?

Home Office wird es immer geben. Ich arbeite ebenfalls manchmal früh morgens oder spät abends, wenn alle im Haus schlafen, vom Wohnzimmer aus. Aber bis jetzt war das die einzige realistische Alternative zum Firmenbüro. Neu kommen dritte, flexible Arbeitsorte dazu wo man auch mal mit einem Kunden einen Termin abmachen oder sich in der Projektgruppe treffen kann.

Coworking macht Sinn für Start-ups und Leute, die sonst von Zuhause aus arbeiten, es ist ein Ort zum Netzwerken und sich Austauschen…

Ja, das ist so. Ergänzend würde ich sagen, dass Coworking Sinn macht für alle die im Beruf gerne in Kontakt mit anderen Menschen sind. Immer mehr Angestellte kommen zu uns und werden zu Teilzeit-Coworkern. Anstatt jeden Tag ins Büro pendeln zu müssen, kommen sie 1-2 Tage ins Büro Lokal. Solche Spaces werden für ihre Nähe zum Wohnort geschätzt. Und sobald es mehr Spaces auf dem „Land“ gibt, werden meiner Meinung nach auch mehr Mütter das Angebot in Anspruch nehmen.

Wer gehört denn sonst noch zu Ihren Kunden?

Unsere Räumlichkeiten können und werden abends für verschiedene Anlässe gemietet. Die Bandbreite reicht von Weindegustationen und Kunstvernissagen zu Clubanlässen, Referaten und Vereinssitzungen. Manche Firmen suchen Standorte weg von ihre Alltagsbüros, um in einer völlig neuen Umgebung frische Ansätze für Strategien zu finden. Hier werden unsere Räumlichkeiten ebenfalls sehr geschätzt.

Also um deine Frage zu beantworten: Künstler, Vereine, Firmen mit eigenen Büros und sogar Schüler zählen ebenfalls zu unsere Kunden. Schüler dürfen unsere Räumlichkeiten zum Lernen kostenlos benutzen.

Werfen wir einen Blick in die Glaskugel, Frau Schäpper: Was wird Ihrer Meinung nach das nächste grosse Ding im Bereich Smart Working?

Die Work Smart Initiative haben Sie schon vorher als Ablösung vom Home Office Day erwähnt. Wenn es den Initianten gelingt, die grössten Firmen des Landes zu mobilisieren, die Charta zu unterschreiben und aktiv flexible Arbeitsformen zu fördern, dann ist das nächste „grosse Ding“ im Gange. Und dann profitieren wir alle davon: weniger Pendlerstaus und somit auch geringere CO2 Emissionen, produktivere und motiviertere Mitarbeiter mit mehr Zeit für Familie und Hobbies, Gewinn von neuen Mitarbeitern, die dem Arbeitsmarkt oder diesen Firmen sonst fern bleiben würden auf Grund der starren Strukturen. Und schlussendlich mehr potentielle Coworker für uns!

Vielen Dank Frau Schäpper!

Was es in den grossen Städten der Welt schon lange gab, hat Jenny Schäpper nach Wil geholt. Das Büro Lokal wurde 2014 gegründet und ermöglicht seitdem Arbeitsplätze auf Zeit, einen Raum für lokales Arbeiten und die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Coworkern. Nebst verschiedenen Arbeitsplatzmodellen bietet das Büro Lokal einen Sitzungsraum für private Diskussionen und Meetings sowie eine Küche zur freien Benutzung. www.buerolokal.ch

Kommentare

Keine Kommentare

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder