
Unsere Halloweengeschichte «Der Fluch»
Sirenen schrecken mich aus dem Schlaf.
Ich weiss erst gar nicht, wo ich bin.
Die Albträume mit Jaques* sind zum Glück weniger geworden. Ich schlafe nicht mehr ganz so unruhig. Dennoch, mein Herz klopft zum Zerspringen. Ein Blick auf meinen Wecker. Es ist 00:00 Uhr. Was mag passiert sein, dass Sirenen mitten in der Nacht losheulen?
Ich stolpere aus dem Bett, noch immer schläfrig. Ich gehe zur Haustüre und öffne diese einen Spalt weit, um zu sehen, was los ist. Es ist eiskalt für Oktober. Aber das ist nicht der Grund, wieso mir ein Schauer über den Rücken läuft.
Der Himmel ist überzogen von Nebelschwaden. Orangen Nebelschwaden. Weisse Flocken wirbeln durch die Luft. Kein Schnee. Asche. Ein paar Häuser weiter steht ein Wohnblock in Flammen. Menschen rennen durcheinander. Einzelne Schreie zerreissen die Nacht.
Der nächste Morgen.
Ich habe kaum geschlafen. Die Ereignisse der letzten Nacht stecken mir noch in den Knochen. Heute ist Home Office Tag. Ich gehe an mein Bürolaufband und fange an zu arbeiten. Doch konzentrieren kann ich mich nicht. Schliesslich schalte ich doch den Fernseher an.
«Der Brand wurde durch eine Zigarettenkippe ausgelöst», sagt der Sprecher der lokalen Nachrichten. Ich dachte, so was gibts nur im Film. Ich starre auf das Video des Raumes, in dem das Feuer seinen grausamen Anfang nahm. Alles ist verbrannt. Nur wie durch ein Wunder, die zerknüllte und «angeschmörzelte» Zigarettenpackung ist noch lesbar. «The Curse». Der Fluch. Diese Zigaretttenmarke kenne ich nicht. Aber ich rauche ja auch nicht. Ich gebe mein Bestes, einen gesunden Lebensstil zu pflegen und mich im Alltag viel zu bewegen. Dazu passt Rauchen nicht. Die Fratze, die auf der Zigarettenpackung abgebildet ist, sieht jedenfalls angsteinflössend aus. «Wie passend», denke ich zynisch.
Der Brand ist das Thema Nummer 1 in unserem kleinen Dorf. Ich bin gerade beim Einkaufen. Aus irgendeinem Grund möchte ich nicht zum Self Checkout. Ich spüre einen gewissen Zusammenhalt unter der Bevölkerung und möchte mich mit der Kassiererin unterhalten. Tut manchmal auch gut, wenn man alleine lebt.
Ich lege meinen Einkauf auf das Band. Mein Blick studiert die Zigaretten, die über der Kasse ausgestellt sind. «Habt ihr diese komische Marke extra aus Sortiment genommen?» Die Kassierin blickt mich an. «Was»? «Die Marke von der Zigarette, die den Brand ausgelöst hat. «The Curse» oder so was. Ich kenne Annelise, die Kassiererin schon lange. Doch jetzt schaut sie mich doch sehr verwirrt an. «Von dieser Zigarettenmarke habe ich noch nie gehört», sagt sie schliesslich, «ausserdem lebte der Andi schon lange allein. Er war Nichtraucher.» Andreas, der arme Kerl, hatte den Brand nicht überlebt. Ich denke an das ausgebrannte Zimmer in der Nachrichtensendung. Mich schaudert es. Schnell verabschiede ich mich.
Ich habe ein gutes Gedächtnis. Ich kann mir Dinge gut merken. Orte, Menschen, Zahlen, besonders Bilder und Gesichter. Als ich gedankenverloren die Haustüre aufschliesse, denke ich noch darüber nach. Ich stelle die Einkaufstaschen ab. Ziehe die Schuhe aus, lege die Jacke ab. Dann nehme ich die Tüten und gehe in die Küche. Plötzlich setzt mein Herz einen Schlag lang aus. Ein rötliches Leuchten auf dem Herd. Mein Herd – er war an. Volle Stufe. Das ist mir noch nie passiert.
Nur zwei Tage später ist ein neuer Feuermelder installiert, und ein Feuerlöscher «ziert» die Ecke beim Eingang. Nicht wirklich hübsch sieht er aus. Aber die Ereignisse der letzten Tage haben mich doch sehr nervös werden lassen.
Mein Schlaf wir wieder unruhiger. Ich träume von Feuer, von Flammen und Rauch. Fast jede Nacht wache ich um Punkt 00:00 Uhr auf oder besser gesagt, ich schrecke hoch. Geplagt von komischen Fratzen und lodernden Flammen, die mich zu verschlingen drohen … Ich glaube, heute nehme ich mal ein Schlafmittel. Ich brauche wenigstens eine Nacht der Ruhe.
BIEP BIEP BIEP BIEP! Feueralarm. Ist das ein Traum?
Ich bin in wenigen Sekunden auf den Beinen und noch schneller bin ich die Treppe runter gerannt, da das unverkennbare orange Lichtflackern keinen Zweifel lässt: Hier brennt etwas. Blitzschnell habe ich mir den Feuerlöscher aus der Küche geschnappt und lösche das Gesteck, das auf dem Esstisch Feuer gefangen hat.
Mein Puls rast. Meine Hände sind nass von Schweiss und zittrig vor Aufregung und Adrenalin. Was ist passiert? Mein Blick fällt auf die umgefallenen und verbrannten Gegenstände auf meinem Esstisch. Alles ist mit einem Schaum überzogen. Aber was ist das? Kerzenwachs? Ich hatte eine Kerze auf dem Esstisch neben dem Gesteck, aber ich habe diese nicht angezündet! Was geht hier vor? Verliere ich jetzt langsam den Verstand?
Ich kann nicht mehr. Die Anspannung der letzten Tage war zu viel. Ich setze mich auf den Boden und starre eine Weile lang einfach nur geradeaus. Mein Blick fällt auf die Uhr über dem Backofen.
Sie zeigt 00:00 Uhr.
Es dauert lange, bis ich wieder einschlafen kann. Jede Nacht bin ich nervös, schrecke wegen jedem noch so kleinen Geräusches aus dem Schlaf. Die Träume quälen mich. Ich sehe Flammen, höre Schreie, immer diese Fratze von der Zigarettenpackung …
Ich schleppe mich zur Arbeit. Zum Glück kann ich mich viel bewegen. Ein höhenverstellbarer Tisch, eine Stehmatte und sogar ein Bürostuhlvelo helfen mir, mein Stresslevel etwas anzubauen.
Doch die Träume lassen mich nicht in Ruhe. Sie kommen jetzt jede Nacht.
«NEIN!» höre ich mich selbst rufen, als ich wieder mal um Punkt 00:00 Uhr hochschrecke. Ich bin nassgeschwitzt. Mein Herz kann sich kaum beruhigen. So real war der Traum von Feuer noch nie. Ich kann nicht anders, als aufzustehen. Ich muss sichergehen, dass nichts brennt.
Ein Blick in den Gang, alles ist ruhig. Ich stolpere die Treppe hinunter, noch immer ganz zittrig von dem lebhaften Traum. Ich mache das Licht an im Esszimmer. Der Tisch ist noch immer schwarz. Ich habe mir vorgenommen, diesen in den nächsten Tagen zu ersetzen. Ich hole mir ein Glas Wasser, lasse mich auf den Stuhl fallen. Mein Blick schweift im dunklen Raum herum. Stopp! Was ist das weisse Ding und dieses Glühen in der Ecke?
Ich bin sehr ordentlich, bei mir liegt selten etwas herum. Ich stehe auf und gehe darauf zu. Ich erstarre mitten in der Bewegung. Mein Atem setzt aus, mir wird eiskalt. In der Ecke liegt eine offene Zigarettenpackung. Daneben eine glühende Kippe, die langsam ein Loch in mein Parkett brennt. Mit zittrigen Händen greife ich nach der Packung. Ich drehe sie um. Eine Fratze starrt mich an. «The Curse».
* Lesen Sie auch den Halloweenartikel «Die Büropuppe «Jacques»» vom letzten Jahr.
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